Der Abreisetag hielt völlig unvermutet noch einmal Abenteuerliches parat. Zunächst begann der Vormittag mit einem letzten Jungle Walk. Noch einmal waren wir fasziniert, als James unter einem Nut-Tree stehenblieb, eine große braune Kugel, ähnlich einer Kokosnuss aufhob und mit wenigen Hieben seiner Machete aufschlug. Heraus purzelte ein knappes Dutzend dattelförmige, harte Früchte, die wir nicht zuordnen konnten. Die Teile mussten per Machete von ihrer Hülle befreit werden. Zum Vorschein kamen die uns wohlbekannten Paranüsse.

Die Gegend um Manaus ist das Zentrum der Produktion dieser großen, wohlschmeckenden und gesunden Nuss. Sie wird dort Brazilian Nut oder auch Kastai do Brazil genannt. Zwei Stück pro Tag wäre eine gesunde Ration für jedefrau und jedermann. Ihr Verzehr und Genuss wird für uns ab jetzt immer mit unserer Brasilien-Reise verbunden bleiben.

Zunächst hatten wir noch Glück. James nannte es Tarantula-Sunday, denn er fand für uns noch einige sehenswerte Exemplare, die er mit seinem Grashalm-Speichel-Trick aus ihren Höhlen lockte.

Nach einer halben Stunde Jungle Walk hielt James plötzlich inne. „You hear?“ machte er uns auf ein immer lauter werdendes Rauschen aufmerksam. Wir mutmaßten seinen Ursprung: „a plane?“ – „wind?“ – „an animal?“ James schüttelte nur kurz den Kopf und ließ verlauten: „Rain. Will come soon. Much rain.“ Keine Minute später brach er los, als hätte jemand auf den On-Button gedrückt. Wortlos und ohne Umschweife, triefend nass machten wir uns auf den Rückweg zur Lodge. Jetzt hatten wir also auch den Ursprung des Wortes „Regenwald“ erfahren.

Nach dem Lunch stand unsere Abreise bevor. Koffer gepackt, die nicht mehr zu trocknenden Teile extra in Plastik verstaut, warteten wir auf das Boot, das frische Dschungel-Experiencer bringen sollte und uns danach zur Abfahrt des VW-Busses. Der Regen hielt unvermindert an und wir fingen an Bad Case Scenarios, Worse Case Scenarios und Worst Case Scenarios auszumalen. Um Reisestress zu vermeiden hatten wir zwischen Rückreise nach Manaus und Abflug nach Rio eine Nacht Puffer in einem Hotel Manaus gebucht. Doch das für 14:00 angekündigte Boot kam nicht und kam nicht. Informationen flossen spärlich. Der Handyempfang an der Bootsanlegestelle sei schlecht, die Mud-Road wahrscheinlich schwer zu befahren etc etc. In Ermangelung einer Reiseleitung in der Lodge wuchsen der Köchin und dem Guide James auf einmal organisatorische Aufgaben zu. Erstere aber sprach mit uns nur Portugiesisch und wir verstanden nichts, James lag in seiner Hängematte und chillte. Er könne nichts für den Regen und auch nicht für den schlechten Zustand der Straßen, da sei der Präsident zuständig, und der tue nichts. Kurz vor vier regnete es nach wie vor und das Boot war noch immer nicht in Sicht. James eröffnete uns, dass eine eingestürzte Brücke auf dem Weg ohnehin nur bis 18:00 Uhr umfahren werden könne und es am besten wäre, wir würden noch eine weitere Nacht in der Lodge bleiben. Am nächsten Morgen könnten wir ja um 5:00 Uhr morgens aufbrechen und würden dann bestimmt auch noch unseren Flug erreichen. No problema. In diesem Moment riss Ingrids ohnehin dünner Geduldsfaden und ihrem fulminanten „I will go today.“ hatte auch  James nichts mehr entgegenzusetzen.

Als hätte ihn uns der Himmel geschickt, tauchte urplötzlich ein Boot auf, dessen Fahrer wohl Küchen-Abfälle für seine Schweine abholen wollte. Kurzentschlossen wurde dieser „local guy“, dessen Namen wir nicht in Erfahrung bringen konnten und wohl auch nie werden, vereinnahmt und engagiert. Ehe er es sich versah saßen Ingrid und ich in seinem Aluminiumboot, samt unserem Gepäck. Jungle James nahm wieder seine Lieblingsposition als Gallionsfigur ein, dirigierte das Boot und half mit dem Paddel, wenn das Schilf wieder zu dich wurde. Wir wussten, dass die Umfahrung der defekten Brücke ab 18:00 Uhr geschlossen werden würde und waren deshalb in Eile. Was passieren würde, wenn wir dort zu spät ankommen sollten, malten wir uns erst gar nicht aus. Keine Zeit, jetzt auch noch das Worst-Case-Scenario-Spielchen zu spielen. In Rekordzeit erreichten wir die Anlegestelle. Local Guy und Jungle James schleuderten ihre Sandalen von den Füßen, schulterten unsere Koffer und los ging’s durch die rote Matsche.

Der VW-Bus konnte nämlich aller Fahrkünste die letzten 1,5 km zur Anlegestelle nicht bewältigen. Also hieß die Devise: alles tragen und am besten nicht ausrutschen. Hinter unseren beiden Sherpas versuchten wir Tritt zu halten, schließlich hatten wir nur unser „Carry-On-Gepäck“ zu schleppen. Und tatsächlich stand nach der ich-weiß-nicht-mehr-wievielten Kurve und mit einem gefühlten halben Meter Schlamm unter den Salomon-Trekking-Shoes der VW-Bus auf, Heckklappe geöffnet. Alles reingehievt, James und Local Guy noch 10 US-Dollares in die Hände gedrückt, mit 3 Kilo Schlamm an den Schuhen in den Bus gehoppst und los ging die Four-Wheel-Power-Slide-Fahrt zurück in die Zivilisation.

Wir erreichten die Brückenumfahrung 10 Minuten vor Toreschluss und wenig später saßen wir erneut im Schnellboot über den Amazonas nach Manaus. Ein Uber-Fahrer erledigte den Rest unserer Rückreise in die Zivilisation. Selten hatten wir uns so auf eine funktionierende Dusche gefreut, deren Wasserstrahl den Namen auch wert war. Das Konglomerat aus Insektenschutzmittel und Schweiß, das sich auf der Haut wie ein Schmierfilm angesammelt hatte, ließ sich tatsächlich wieder aufweichen und entfernen. Intercity-Hotel in Manaus. We love you.